Erklärung zum Jahreswechsel 2017 von Georg Kustermann

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates, liebe anwesende Gäste.

Die Advents- und Weihnachtszeit ist gemeinhin auch die Zeit der Märchen. Märchen werden an lauschigen Winterabenden bei den Familien zu Hause erzählt, in den Kindergärten und Schulen oder wir sehen sie in verfilmter Form im Fernsehen.

Ich persönlich kann Märchen ganz gut leiden. Sie haben meist eine klare Trennlinie zwischen Gut und Böse, wobei freundlicherweise am Ende meistens das Gute siegt, und sie bieten viel Stoff zum Träumen. Und Träumen hat, zumindest in Maßen, noch nie jemandem geschadet.

Doch,  ich mag Märchen. Aber unter uns gesagt, geglaubt habe ich den Geschichten der meisten Märchen eigentlich noch nie. Und richtig vorsichtig werde ich, wenn Märchen in der Politik erzählt werden.

Ich glaube beispielsweise nicht an das Märchen, dass  Fachleute immer das Richtige planen, nur weil sie Fachleute sind.  Die mehr als fragwürdige Anschlusssituation der Rosenheimer Westumgehung an die Staatsstraße oder brandaktuell die unzureichend geplante Fahrbahnbreite der neuen Conradtystraße mögen hier als Beispiele dienen. Auch die fehlenden Anliefer- und Anfahrzonen für die Geschäfte an der alten Spinnerei, die letztendlich die Linienbusse dort vertrieben haben, zeugen nicht unbedingt von Praxisnähe der Fachplaner. Deshalb würde ich mir hier in diesem Gremium öfter wünschen, dass Argumente des gesunden Menschenverstandes von Ratsmitgliedern nicht einfach lapidar mit dem Verweis auf Fachplanungen vom Tisch gewischt werden.

Ich glaube auch nicht an das Märchen, dass eine ansprechende Stadtkulisse unbedingt Straßenschluchten und Raumkanten braucht, und dass Bebauung bis zum Straßenrand mehr Lebensqualität liefert, als Raum zum Atmen  unter einem achtzig Jahre alten Baum.

Genauso wenig glaube ich an das Märchen, dass ebenjener Großbaum mit seinem soliden Wurzelwerk anfälliger für künftige, klimaerwärmte Sommer sein soll, als Neupflanzungen, die oft genug ihre ersten Jahre nicht überstehen.

Ich glaube des Weiteren nicht an das Märchen, dass  Verkehrsteilnehmer aus purem Idealismus vom Auto zum Fahrrad wechseln werden, solange entsprechende Anreize fehlen. Wenn Fahrradwege nur  kümmerlich beengte Streifen im Zickzackkurs über Bordsteine und Stolperfallen sind, und solange neue Bebauungspläne dem nicht Rechnung tragen, bleibt alles Gerede von der fahrradfreundlichen Kommune ein wertloses Lippenbekenntnis.

Ich glaube nicht an das Märchen, dass es  bei der Neuausweisung von fast 500 Wohneinheiten unmöglich sein soll, dort auch Räumlichkeiten für  eine Kindertagesstätte von den profitierenden Investoren zu erhalten. Und ich halte es nicht für richtig, Grundstücke dafür woanders auf Kosten des Steuerzahlers zu erwerben.

Überhaupt glaube ich nicht an das Märchen, dass ungebremste Wohnbautätigkeit auf dem freien Markt das Wohnungsproblem der Ansässigen lösen wird. Vielmehr sehe ich bei all den weit überregional angebotenen und vermarkteten Neubauten eine Situation nach dem Motto „Wer Wohnungen sät, wir Zuzug ernten!

Wer daran zweifelt, der möge sich nur die jüngsten Studien der  Wohnraumsituation in München zu Gemüte führen. Diese zeigen klar, dass nur ein kommunales Wohnbauprogramm, nie aber der freie Immobilienmarkt das Wohnungs- und Mietpreisproblem lösen kann. Insbesondere in Zeiten einer Niedrigzinspolitik, in welcher  Immobilien leider allzu häufig eher als Kapitalanlagen  denn als Unterkünfte genutzt werden.

Aber die Weihnachtszeit ist nicht nur die Zeit der Märchen, sondern auch die Zeit des Glaubens. Und auch wenn ich persönlich nicht an verblendete Religionen glaube, die irrsinnigen  Attentätern das Märchen von 40 Jungfrauen im Jenseits erzählen, so gibt es dennoch viele Dinge, an die ich geradezu begeistert glaube.

Beispielsweise an unser so großartiges Grundgesetz, das auch in Zeiten schwieriger Regierungsbildung Lösungsansätze vorsieht.

Auf einer Reise in den Iran im April dieses Jahres wurde ich von erstaunlich weltoffenen und gut informierten Iranern immer wieder in politische Diskussionen verwickelt. Und dabei konnte ich feststellen, dass  uns die Menschen dort um eines wirklich beneiden. Um unser System, das in sich funktioniert.

Während dort unten fast alles von der Willkür übermächtiger Einzelpersonen wie dem obersten Ayatollah oder dem Staatspräsidenten abhängt, schützt sich unser System, dank unserer Gesetzbücher bis zu einem gewissen Grad selbst.

Deshalb halte ich auch nichts von Neuwahlen, solange bis das Ergebnis genehm ist.

Nein, ich glaube, ja ich weiß sogar, dass eine Minderheitenregierung möglich ist.

Denn ungeachtet des derzeitigen kollektiven Berliner Gejammers praktizieren wir hier in Kolbermoor eine solche seit nunmehr über fünfzehn Jahren mit mehr als respektablem Erfolg. Minderheitenregierung bedeutet, dass die Themen nicht hinter verschlossenen Türen zwischen  Koalitionspartnern abgesprochen und dann einem sicheren Mehrheitsbeschluss zugeführt werden, sondern dass die Diskussion dort stattfindet, wo sie in einer Demokratie hingehört: Öffentlich im Parlament.

Natürlich ist das Werben um Mehrheiten für die Regierenden nicht immer einfach und bequem. Unser Bürgermeister mag beizeiten ein Lied davon singen. Aber es birgt ein riesiges Potential für Ideenaustausch, Transparenz und schlicht und ergreifend für gelebte Demokratie.

Und weil wir dieses System seit Jahren praktizieren, glaube ich bei aller konstruktiv gemeinter Kritik, die erlaubt sein sollte, fest an die Zukunft unserer Stadt.

Ich glaube, dass die Umgestaltung des Bahnhofsviertels, die Fertigstellung des Geschäftshauses am Rathausplatz, die Vision eines Sportzentrums am neuen Friedhof oder auch die Anbindung neuer Radwege an den zweiten Mangfallsteg das Gesicht Kolbermoors weiter positiv verändern werden.

Aber gerade weil ich so überzeugt an unsere Gesetzbücher glaube, sei es mir zum Abschluss noch gestattet mahnend den Zeigefinger zu heben.

Gesetzbücher können Vieles, aber eines können sie nicht: Anstand, Moral und Charakter ersetzen! Dies hat mir eine Nachricht aus dem aktuellen Politgeschehen unlängst wieder mehr als deutlich vor Augen geführt.

Wenn ein Manager nach sieben Monaten Zugehörigkeit zu Air Berlin aus der Kasse des in den Konkurs gewirtschafteten Konzerns ohne rot zu werden 4,5 Millionen Euro für sich beansprucht, während 6000 Mitarbeiter vor einer ungewissen beruflichen Zukunft stehen, dann ist das nach dem Gesetz vielleicht korrekt, anständig wird es in meinen Augen nie sein!

Dies möge in Zeiten von Cayman-Konten und Panama-Papers nur ein Beispiel für eine Denkweise sein, die wohl keiner von uns als Richtschnur für gesellschaftliches Handeln will.

Und deshalb glaube ich fest daran, dass wir an jedem Tag hier in diesem Gremium unsere Entscheidungen mindesten genauso so sehr nach moralischen wie nach juristischen  Maßstäben treffen sollten.

Von daher an dieser Stelle wie alle Jahre ein besonders herzliches Dankeschön an alle Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren.

Viele Dinge, die wir schätzen, wären ohne sie nicht möglich.

Ihnen und allen hier Anwesenden ein besinnliches, frohes Weihnachtsfest und ein gesundes, glückliches neues Jahr.“

 

Georg Kustermann für die Grüne Liste Kolbermoor

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